2013-06-18

UdK Berlin: Bericht von Bewerbung und Zulassung 2013 (Bildende Kunst)

Ich schreibe hier über meine erfolgreiche Bewerbung, weil ich im Netz kaum etwas Vollständiges zu Kriterien und Ablauf bei einer Bewerbung an der UdK Berlin (Fach Bildende Kunst) gefunden habe.
Das krass Elitäre, das dank einer bornierten Exklusionspolitik an künstlerischen (auch Film-)Unis und Hochschulen gezüchtet wird, kann nur eine Abschaffung aller Zugangshürden beheben. Damit einhergehend tausend Neugründungen, ausgestattet mit den nötigen Ressourcen.
Hier kann ich versuchen, die Informationshürde zu verkleinern. Ich selbst konnte die Mappe nur dank eines befreundeten Künstlers fertigstellen; ohne ihn hätte ich meine falschen Vorstellungen über Bewerbungsmappen und künstlerische Praxis nicht überwunden.

(1) Mappe

Nach meinem Eindruck kam ich in die zweite Runde, weil meine Mappe "interessant" war. Ich habe einige Seiten einer fiktiven Zeitschrift aus dem Jahr 1974 gestaltet mit Fabeln, Fotos und einigen Skizzen. Eine "konventionelle" Mappe mit Aktstudien, vielen Zeichnungen und einigen großformatigeren Malereien geht vielleicht unter, wenn sie nicht auf Anhieb eine sehr eigene Handschrift oder Idee verrät. Also: macht etwas, was aus euren manischen Zwängen kommt und meidet das Übliche. Nehmt euch genügend Zeit. Die einen produzieren einfach drauflos; wer wie ich eher selbstkritisch und träumerisch drauf ist, kann die Zeit zum Reflektieren über den eigenen Standpunkt, die Welt und wie sie anders sein könnte verwenden und daraus eine Mappen-Idee schmieden. Auf gar keinen Fall geht es darum, zu zeigen, "was ich alles kann". Stellt euch die Mappendurchsicht so vor: ein Haufen mit Hunderten von Mappen liegt auf einem großen Tisch; die Professorinnen und Dozenten schlagen nacheinander die Mappen auf und wenn sie nicht sofort irritiert sind, dann legen sie die Mappe wieder zurück. Gefährlich ist alles, was nach Kitsch oder Klischee aussieht. Nicht dass es so etwas wie Klischee oder Kitsch gäbe - es gibt aber den Dünkel der Akademie dagegen. Mein Trick war schließlich, so zu tun, als würde ich meine Mappe 1974 fertigstellen. Dadurch konnte ich die Fotos, Zeichnungen und Texte machen, ohne auf die vielen zeitgenössischen Fallen (Pathos, Pop, Postmoderne) achten zu müssen.

(2) Klausur

Die Prüfungswoche (meist irgendwann im Juni) beginnt mit einer vierstündigen schriftlichen Arbeit. Das ist aber ganz locker; ihr müsst weder schnellschreiben lernen noch Kunstgeschichte. Die meisten waren nach 2 Stunden fertig, weil maximal ein linierter A3-Bogen (also vier A4-Seiten) beschrieben werden darf. Bei den Antworten gilt m.E., dass ihr persönlich ehrlich seid. Ich bin eher suchend und nachdenklich, deshalb hab ich auch so geantwortet. Wenn ihr einfach drauflos malt, dann schreibt das auch so. Und macht euch vorher schon mal Stichpunkte zu allen Fragen; dann könnt ihr lockerer einsteigen.
Es gab 2013 vier Fragen:
  • Motivation: warum willst du Bildende Kunst studieren? Ich hatte drei Gründe: zusammen mit Kunststudierenden arbeiten und uns gegenseitig inspirieren und irritieren; Werkstätten und Infrastruktur der Uni nutzen; eigene Künstlerische Praxis reflektieren und verstetigen. Ich denke, hier kommt es auf Vollständigkeit an und darauf, dass ihr euch sicher seid, nicht z.B. Kostümgestaltung, Philosophie oder Tiermedizin studieren zu wollen.
  • Interessen und Inspiration: welcher Galerie-/Werkstatt-/Museumsbesuch oder Gespräch mit Künstler hat dich inspiriert? Ich schrieb über eine Illustratorin, die Portraits ausgestellt hat. Sie hatte beim Malen versucht, ohne Rücksicht auf Konventionen wie Schönheit einfach das zu malen, was sie spontan sah. Das ist etwas, was ich mir selbst auch wünsche: ein freierer, unvoreingenommenerer Blick. Als weitere Inspirationen nannte ich Breughel und Danilo Donati (Fellinis Bühnenbildner), die jeweils eine bestimmte runde Weltsicht für mich vermitteln.
  • Wirkung: Was ist für dich die Aufgabe von Bildender Kunst in der Gesellschaft? Meine (kurze) Antwort: irritieren, herrschende Sichtweisen infrage stellen. Ich bin aber von meinem eigenen Seherlebnis ausgegangen, damit das nicht so pamphletartigen Klang bekommt.
  • Beruf: Welche Schwierigkeiten siehst du in deinem künftigen Beruf? Ich sehe keine Schwierigkeiten, weil ich nicht Geld damit verdienen will und auch nicht Künstler von Beruf "sein" will, sondern immer weiter meine Praxis infrage stellen. Hier gilt natürlich eure Vorstellung. Ich habe nur 3 Sätze geschrieben und davon ließen sich 2 streichen.
Ihr könnt auch von den vier Fragen nur die ersten beiden beantworten, die wahrscheinlich interessanter sind. Oder für die zweite 90% des Textes verwenden. Merkt euch, was ihr aufgeschrieben habt (ihr könnt ja eure Notizzettel nach Hause nehmen), denn auf eure Antworten werdet ihr in der mündlichen Prüfung angesprochen. Das heißt natürlich auch, dass ihr etwas zu dem zu sagen haben müsst, was ihr erwähnt. Schreibt nichts, was nur gut klingt. Lieber das Unscheinbare, das euch aber wirklich interessiert und bewegt.

(3) Praktische Aufgabe

2013 gab es zwei Aufgaben zur Auswahl:
Entweder
  • Mache etwas aus dem, was du trägst, sei es der Inhalt deiner Taschen (z.B. Handy; wenn Internet drauf ist, dann auch das); mit deinen Haaren, Klamotten, Schuhen etc. Jedes Medium ist erlaubt; wichtig ist der Bezug zu dem, was ihr an euch tragt.
    Der Aufgabenstellerin Prof. Steyerl ging es dabei um die Idee, ohne die äußeren Genres auszukommen; die Idee stammt aus der russischen Revolutionszeit, als viele arme Leute künstlerisch aktiv wurden.
Oder
  • Bearbeite einen Text von Samuel Beckett (Stirrings Still). Volltext im Original: http://mural.uv.es/sagrau/textos/stirring.html Übersetzung ins Deutsche wurde auch ausgeteilt; ich fand sie aber nicht gelungen. Freie Medienwahl; aber es sollen Zeichnungen bzw. Skizzen darunter sein.
Die Aufgaben können innerhalb von zwei Tagen gelöst werden (von Dienstag 9.00 Uhr bis Mittwoch 16.00 Uhr). Möglichst innerhalb der UdK, aber wer es nötig hat, kann natürlich auch zuhause arbeiten, auch nachts, und Material irgendwoher besorgen.

Ich denke, es macht einen guten Eindruck, wenn ihr euch beschränkt. Hier gilt, wie bei der Mappe: am wichtigsten ist ein erster faszinierender oder interessanter Eindruck, der im Arbeitsergebnis klar sichtbar sein soll. Das können spontane Eindrückesein, aber dann mit klarer Handschrift und z.B. als einheitliche Serie. Ich persönlich neige ja zum Abstrahieren.
Mein Gedankengang war etwa: (1) Material sind der Beckettext sowie die 2 Tage, die wir hier an der UdK die Aufgabe machen. Alles andere will ich raushalten, damit das Ergebnis sehr rein und klar wird. (2) Was kann man mit dem Beckettext machen? Er ist extrem musikalisch, aber nicht bildreich. Also lassen sich wohl musikalische Strukturen (Wiederholung, Sprung, Tempo- und Lautstärkevariation, thematische Variation) analysieren. Dafür fehlen mir aber die Zeit und die Methoden, ich bin kein Musikexperte. (3) Lässt sich die UdK als Methode verwenden? Die UdK ist ja sowas wie eine Maschine, mit Werkstätten, Ausstellungen, vielen tätigen Menschen, Lüftungen, Klos (Stoffwechsel), Strom, Wegen, Wegweisern, Verboten, Irritationen, Sackgassen... Ich setzte mich in ein paar Werkstätten und skizzierte die Arbeitsabläufe. Leider kam mir keine Idee, wie das jetzt auf den Becketttext bezogen werden könnte. (4) Abends im Bett kam mir die Idee: Beim Rundgang durch die UdK waren mir Elemente aufgefallen wie Sackgassen, Verzweigungen, Verdeckungen etc. Das sind ja genauso Figuren wie die musikalischen Elemente, die ich  im Becketttext gefunden hatte. Ich zeichne eine Spiegelachse - das ist die Zeit - und drüber zeichne ich eine Linie, wie ich den Text lese, drunter zeichne ich eine Linie, wie ich durch die UdK gehe. Wenn ich jetzt den Becketttext analysiere, dann finde ich zunächst einzelne Elemente oder Figuren. Wenn ich die Figuren verbinde, entstehen Muster. Wenn ich die Muster zu einem Netz vereine, dann... ok, weiter weiß ich nicht, also erstmal das gleiche mit dem UdK-Rundgang. Ich habe eine Serie von Skizzen aus der UdK. Darin kann ich einzeichnen, wo ich langgehen kann, wo ich langgehen möchte, was ich nicht sehe, was mir unklar ist etc. Das sind die Figuren Nebel, Klärung, Verzweigung, Sackgasse,..., die ich zu Mustern und Netzen verbinden kann. Hier weiß ich natürlich, was am Ende der Abstraktionskette stehen muss: die Erinnerung. Es entsteht ein Dreieck; die Basis ist der UdK-Rundgang mit einer Serie von Skizzen, die Spitze ist eine einzige Erinnerung, die ich dann vielleicht später einmal haben werde. Analog dazu muss die Basis des anderen Dreiecks der Becketttext sein und die Spitze eine Idee von Beckett, die ihn 1988 zum Schreiben angeregt hat. (5) Am nächsten Tag kann ich zielbewusst ein Schaubild mit den beiden analogen Dreiecken zeichnen sowie zwei Beispiele ausarbeiten (Eingang der UdK und ein Flur in der UdK), die zusammengesetzt eine fiktive Publikation ergeben. Dieses "Beispielbuch" erklärt die Benutzung einer noch zu programmierenden Bibliothek für Programme, die aus Texten eine Idee machen können. (6) Ich frage mich, ob die Leute, die sich das angeschaut haben, Lust und Zeit hatten, dieser komplizierten Idee zu folgen. Insofern rate ich zu einfacherern, weniger verkopften Arbeiten. Die einzige Frage, die mir bei der mündlichen Befragung zur praktischen Arbeit gestellt wurde, war, ob es ein Witz sein solle, dass das "Beispielbuch" auf 1992 zurückdatiert ist. Antwort: ja. Dass man mich am Ende doch gnädig zum Studium zuließ, bedeutet vielleicht, dass die Profs und Dozierenden nicht alle so humorlos sind, wie sie im abschließenden Gespräch wirkten.

(4) Gespräch

Am Samstag erst war mein Gespräch. Währenddessen gingen Mappe (Portfolio) und praktische Arbeit herum. Viele sahen beide offenbar zum ersten Mal. Stellt euch einen Halbkreis von Leuten vor, die teilweise keinen blassen Schimmer von euch haben und die Aufgabe haben, dich mit möglichst harten Fragen zu bombardieren. Am Anfang hab ich ziemlich rumgestammelt und meine Antworten waren auch nicht so knapp-geschliffen formuliert wie hier wiedergegeben:
  • "Ihre Klausur beginnt mit dem Satz 'Kunst mache ich auch ohne Kunststudium'. Was soll das heißen?" Antwort: im Studium hätte ich bessere Bedingungen. Nämlich wegen der KommilitonInnen, mit denen ich praktisch arbeiten und mich austauschen kann und die genauso versessen Kunst machen wie ich; wegen der Infrastruktur; und um aus dem luftleeren Raum zu herauszukommen, in dem ich noch Kunst mache. 
  • "War Ihre Mappe eine Gruppenarbeit?" Das fragte er wohl, weil darin etwas von einem Kollektiv stand. Meine Antwort: "Nein."
  • "Sind die Fotos aus den 70ern?" Antwort: "Nein, aber ich habe versucht, sie so zu inszenieren, als wäre ich ein sozialistischer Künstler in dern 70ern. Ich beschäftige mich seit zwei Jahren stark mit der Zeit und mir imponiert der damalig starke Ethos, gewissenhaft und ohne Metaphysik oder Träumerei auszukommen - dabei haben die Werke von damals heutzutage schon etwas Utopisches, Mystisches angenommen."
  • "Wieso schreiben Sie unter Ihre praktische Arbeit 1992 - soll das ein Witz sein?" - "Ja, das ist ein Scherz. Hintergrund ist, dass der Beckettext von 88 ist, 91 ins Deutsche übersetzt wurde und Ende der 80er die funktionale Programmierweise an Bedeutung gewann."
  • "In Ihrer Klausur steht etwas von einer 'Bilderarmut'. Was kann ich mir darunter vorstellen?" Hier musste ich erst mal überlegen. Antwort: "Wenn ich die Bilder in meinem Kopf abbilden will, dann werden sie entzaubert und zum Beispiel platt und kitschig. Es stellt sich oft heraus, dass das, was sich "eigen" angefühlt hat, in Wirklichkeit eine Reproduktion bereits vorhandener Bilder war. So kann ich mich nicht vermitteln. Andersherum genauso: Bilder von anderen Leuten kann ich nicht gut nachempfinden; Ich habe dann vielleicht Assoziationen, aber andere als der Künstler. Deshalb suche ich nach einer Möglichkeit, in der ich meine Empfindungen besser vermitteln kann, und das sind Strukturen und Texte ohne Bilder. Oder Konzepte. Da gibt es eine breitere Verständigungsbasis oder so.
    Ich empfinde das als Mangel und Armut und will langfristig dahin kommen, meine empfundenen Bilder darstellen zu können und andere Bilder aufnehmen zu können.
Das Ende des Gesprächs kam dann ganz ruppig: "So viel Zeit haben wir nicht, es gibt noch andere Bewerber, Sie gehen jetzt bitte, und die Mappe lassen Sie hier." - Antwort: "Ok, tschüss." Dann banges Warten bis Dienstag. Und auf der Tabelle stand meine Nummer. Das war heute morgen. Ich wünsche euch, dass ihr nicht mehr so ungewiss wie ich durch diesen Zirkus geht.

2012-04-08

zu «Welt am Draht»

Ausgezeichnet inszeniert und choreographiert, mit brillantem Dekor und dynamischster Kamera. Die Story ist recht banal, aber spannend. Verzichtet dankenswerterweise auf überflüssiges Spektakel. Überraschend lahm ist die Auffassungsgabe der Charaktere. Absicht oder nicht? Was wir beim Zuschauen schnell ahnen — dass der simulierende Protagonist selbst simuliert ist — wird ihm nur ganz allmählich klar, fast quälend langsam, obwohl ihm die Regie die Hinweise darauf säuberlich und klar nach und nach präsentiert.

Geradezu albern ist die Borniertheit fast aller übrigen Charaktere (abgesehen vom heldenhaften Gewerkschafter Walfang): Staatsminister, Stahllobbyist und vor allem der unsäglich bornierte Psychologe scheinen alle über ein Minimalrepertoire von Aussagen zu verfügen. Was unter anderen Umständen den Drehbuchautoren angelastet werden müsste, kann sich hier als bestechende Konsequenz aus der Anlage der kleinen Spielwelt als elektronische Simulation erschließen lassen. Und doch macht es mir Unbehagen, wenn diese Figuren so ganz ohne Rückgrat, die Frauen als aufgetakelte Püppchen, die Herren als Nachrichtensprecherpersiflagen, auf Schienen durch den scheußlich prätentiös eingerichteten Versuchsaufbau eiern. Keine Menschlichkeit, nur Typen: der verrückte Professor, der blasiert-intellektuelle Journalist, der latent aggressive, schnodderige Held, die großbusigen Sekretärinnen, die kumpelhaften Kollegen Lause und Walfang, der dauergrinsende Institutschef, der kleine Staatsbamte, der technokratische Stahl-Lobbyist, der unbeholfen plappernde, fahrige Psychologe. Sie alle spielen ihre Rolle immer vorhrsehbar. Das nervt.

Aufgefallen ist mir, dass es keine Herzlichkeit gibt, abgesehen von der Schlussszene, als die beiden nun "realen" Figuren Eva und Stiller auf dem Boden kugeln. Stattdessen Dialogfetzen, die auf der Beziehungsebene alles oder nichts bedeuten können, albern und unbeholfen wirkende James-Bond- bzw. Femme-Fatale-Gesten; das einzig Substanzielle während der Gespräche ist der Whiskey, der vertilgt wird, wenn wieder einmal die Floskeln erschöpft sind, also ständig. Sie geben sich nicht einmal die Hand, fläzen sich bloß in zu großen Sesseln oder rennen aufgebracht kreuz und quer durch die Räume. Nähe nur, wenn der Held mal wieder jemanden am Kragen packt. Die Männer: entweder hirnlos floskelnde Rundfunkgesichter im Anzug (erinnern an Loriots treffende Karikaturen) oder saufende Machos mit schnellen Autos. Die Frauen: geheimnisvolle Femmes Fatales, die sich als Projektion entpuppen, und großbusige Kühe namens Gloria. Die Probleme: eindimensional, ob es der Konflikt zwischen kommerzieller und staatlicher Forschung ist oder die Simuliertheit der Welt. Vielleicht waren die 70er so? So eindimensional, so sexistisch, so unfähig zu Emotionen, so durchtypisiert? Vielleicht waren die Ambivalenz und der Relativismus, die die Postmoderne in den Diskurs gebracht haben, Antworten auf die gängigen Verkürzungen? Das kann ich nicht beurteilen, es bleibt als Frage offen neben der, wie damals die Konventionen des menschlichen Umgangs miteinander gewesen sind.

2012-02-17

Zauberfotos

99 Zauberfotos zum download

2011-09-02

zu «Trois Couleurs»

 kleine Filmkritik
Drei Filme, die am Ende zusammenfinden. Kieslowski ist ein verspielter Weltenlenker der Beziehungen, der zufälligen Treffen und des Schicksals. Aus den Augen einer von Fenster zu Fenster schwebenden Kamera lenkt er seine Figuren mit sichtlichem Spaß von einer Unmöglichkeit zur nächsten, ohne dabei aber je die konkrete Menschlichkeit der Figuren aus dem Blick zu verlieren. Das Panorama, das er so entfaltet, ist kugelförmig wie ein Planetarium; im Zentrum steht, quasi als Sonne, die Frage, wie sich die Menschen zueinander verhalten. Allen Bewegungen dient sie als Antrieb. Sie umkreisend: die junge Witwe, der einsame Komponist, der gewitzte Pole, das sensible Fotomodell, der zynische Ex-Richter. Kleinere Fixpunkte: das Gericht, das Auto, die Wohnungstür, der Glascontainer, und schließlich die Fähre.

Aufgabe von Film: Raum sein für authentische Empfindung

Außerdem natürlich Beachtung des Mediums (analog zu Fotogénie). Die Ausstattung des Raums im Film muss eigenständig sein, um authentische, also nicht vorproduzierte Empfindungen zu ermöglichen. Das heißt, dass Überlagerung mit Echtbildern verhindert werden muss. Echtbilder kommen dann auf, wenn Miene, Geste, Kostüm oder Kulisse zu "heutig" ist. Ähnlich problematisch sind Referenzbilder, die z.B. innerhalb von Genres existieren und durch bestimmte Schlüssel assoziiert werden.

Was folgt, wenn es keine oder kaum Überlagerungs-Bilder gibt? Das Gezeigte wird "an sich" wahrgenommen. Es kann nicht verglichen und eingeordnet werden. Wir können als Zuschauende damit umgehen oder das zurückweisen. Filme sind aber meistens stark, sodass pure Indifferenz ihnen gegenüber nur wenigen Abgebrühten gelingt. Also müssen wir uns auf das Gezeigte einlassen, ähnlich wie wir uns auf Tanzveranstaltungen auf den Rhytmus einlassen: mit unserem ganzen Leib.