2011-09-02

zu «Trois Couleurs»

 kleine Filmkritik
Drei Filme, die am Ende zusammenfinden. Kieslowski ist ein verspielter Weltenlenker der Beziehungen, der zufälligen Treffen und des Schicksals. Aus den Augen einer von Fenster zu Fenster schwebenden Kamera lenkt er seine Figuren mit sichtlichem Spaß von einer Unmöglichkeit zur nächsten, ohne dabei aber je die konkrete Menschlichkeit der Figuren aus dem Blick zu verlieren. Das Panorama, das er so entfaltet, ist kugelförmig wie ein Planetarium; im Zentrum steht, quasi als Sonne, die Frage, wie sich die Menschen zueinander verhalten. Allen Bewegungen dient sie als Antrieb. Sie umkreisend: die junge Witwe, der einsame Komponist, der gewitzte Pole, das sensible Fotomodell, der zynische Ex-Richter. Kleinere Fixpunkte: das Gericht, das Auto, die Wohnungstür, der Glascontainer, und schließlich die Fähre.

Eine kühl wirkende Witwe flieht vor ihrer Vergangenheit. In ihre neue Freiheit kann sie doch nicht ohne andere Menschen auskommen; sie ergibt sich schließlich den Avancen des alten Bekannten. Dennoch hat sie ein Stück Freiheit gewonnen. Ein einfacher Pole rächt sich an seiner kaltherzigen Ex-Frau, indem er sie auf abenteuerliche und gewitzte Weise in seine Lage versetzt. Sie verlieben sich neu ineinander, diesmal auf Augenhöhe. Ein Fotomodell begegnet einem pensionierten Richter, der fremde Telefonate belauscht. Sie ist angewidert von seinem Zynismus, und indem er sieht, dass er berührt, findet er die Kraft, sich selbst anzuzeigen und in Gesprächen mit ihr auch vergangene Enttäuschungen zu bewältigen. Alle drei Geschichten geschehen zur gleichen Zeit, und am Ende sind die Protagonisten alle noch einmal im Fernsehen zu sehen, als Überlebende eines Seesturms. Applaus, Vorhang.

Zufällige Begegnungen drehen den Verlauf der Geschichten auf abenteuerliche Weise. Der Regisseur spielt mit seinen Figuren; seine Hand und sein Auge sind immer im Geschehen und die voyeuristische Kamera verfolgt alle Bewegungen so ostentativ, dass die Problematisierung des Telefone-Abhörens fast zur Farce gerät. Trotzdem gelingt es Kislowski, eine gewisse Direktheit zu vermitteln, indem er bei aller kunstfertigen Inszenierung und gewollter Gleichnishaftigkeit immer Raum für Ambiguität und Tiefe lässt. So entsteht ein spannenendes Lied mit zwei Stimmen: der der mosaikartigen, artifiziellen Handlungsstücke auf der einen und der der Empfindungsräume, die sich vor allem in den Gesichtern entfalten, auf der anderen Seite.

Diese Symphonie ist getrieben von den geschickt konstruierten Handlungssträngen, von den seelischen Drängen der Figuren, und von den allgegenwärtigen Formen von Bewegung. In der Erinnerung bleibt von letzteren neben der kontinuierlichen, oft nebenläufigen Choreographie des Ankommens und Abreisens vor allem die Musik, die in der Trilogie viel bewusster verwendet wird als in anderen Filmen. Das musikalische Thema des ersten Teils ertönt, auf schwarzer Leinwand, wenn die Protagonistin eine Entscheidung trifft. Die Notenblätter mit ihrer pathetischen Komposition, klingen auch. Der Musik kommt vor allem zum Ende hin eindeutig narrative Funktion zu, wenn das Decrescendo, auf rein diegetischer Ebene der Vorschlag der Protagonistin in der Diskussion einer Komposition, zugleich eine Beruhigung ihres inneren Sturmes verkündet, in dem die Protagonistin zuvor noch die Musik völlig hatte aufgeben wollen. Ähnlich narrativ kündet der Musikgeschmack der Protagonisten in "Rouge" und das Volkslied, das der polnische Landsmann in "Blanc" erkennt, von Seelenverwandtheit. Aber diese verbalisierbare Narration ist nur ein Teil der Funktion der Musik, denn vor allem in "Bleu" und "Rouge" ist sie zugleich eine Figur in der Figurenkonstellation, Akteurin im zwischenmenschlichen Spiel, die auch aktiv mit den anderen Figuren agiert.

Ist die Trilogie ein ethisches Experiment, wie es in einigen Besprechungen der Filme anklang? Oft drängt sich diese Sicht auf: es geht um Recht und Richter, Verpflichtungen und Verantwortung, Schuld und Gerechtigkeit. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf zwischenmenschlicher Ebene. Aber auch wenn der Blickwinkel des Zuschauers der eines Gottes ist, so fehlt es am Ende doch an der richtenden Instanz. Es scheint mir, als interessiere sich Kieslowski gar nicht für Recht und Unrecht, sondern eher für Zufriedenheit und Unrast. Deshalb lässt er seine Figuren nicht nach Wahrheit oder Richtigkeit suchen, sondern nach Erfüllung und Frieden. "Zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, scheint mir heute ein Akt der Vermessenheit", gibt der gescheiterte Richter zu. Wenn die Protagonistin des letzten Teils am Ende der bucklichen Alten, die schon in den beiden anderen Filmen verscuht hat, Flaschen in den hohen Container zu werfen, schließlich dabei hilft, ist das kein Akt der freien ethischen Entscheidung, sondern Ergebnis der seelischen Freiheit. Alle Figuren in Kieslowskis Universum sind "gut" im ethischen Sinne, und sie sind sich auch ihrer Handlungsoptionen (i.e. Freiheit) bewusst, anders als das französiche Volk 1944, dem Sartre das damals in "Les Mouches" abgesprochen hat. Kieslowskis atomische Sicht auf die Menschen ist wohl moderner und vielleicht ehrlicher.

Brilliant ist Kieslowski, wenn es um das Aufeinandertreffen der Figuren geht. Mit Wucht lässt er Autos gegen Bäume und Hunde knallen, Türen zuschlagen, und versenkt am Ende sogar eine Fähre, um wieder eine Situation der Begegnung inszenieren zu können. Selbige überrascht dann im Detail, und der Moment des Überraschtseins fügt sich in der Erinnerung ein in ein großes, sehr geschickt konstruiertes Mosaik aus Konfrontationsweisen. Besonders originell sind die Geschichten nicht, auch nicht flach; das Spannende sind die Charaktere, die sich in der von außen erzwungenen Ausnahmesituation erweisen. Die Figuren entwickeln ein bemerkenswertes Eigenleben, indem Kieslowski sie mit einer Würde wahrenden Distanz zeichnet, ihnen dabei ein individuell angemessenes Maß an Wiederborstigkeit, Liebenswürdigkeit, Initiative und Verzweiflung gibt. Hinzu kommen Witz und Ironie und auch etwas plumpe Symbolik aus dem Drehbuch, mit denen er das feine Gericht deftig würzt. Am meisten gestört hat die Kamera, die zwar meist äußerst elegant, ja geradezu majestätisch langsam durch die Luft schwebt, dabei aber zwangsläufig die Figur oft aus dem Blickfeld verliert und dann ohne Erfolg versucht, nachzuschwenken, ohne eine majestätische Geschwindigkeit zu überschreiten. In neueren Filmen sieht man allerdings oft noch viel schlimmere Kameraeskapaden. Der Schnitt ist auch nur mittelmäßig. Mit gewagterer Kamera und konsequenterem Schnitt hätte der Film eine größere Authentizitätswirkung entfalten können.

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